Tierpsychologie? Ja ist klar …

Publiziert am Mittwoch, 8. Oktober 2014 von Manfred Weiblen
Junge Frau mit Katze auf der Schulter

Einst dachte ich, Tierpsychologie sei Quatsch. Nun weiss ich: Wer einer Katze etwas beibringen will, muss erstmal selbst dazulernen.

Schon eine seelisch unversehrte Katze ist ja nicht unbedingt als «psychologisch unauffällig» einzustufen. So kennen Katzen bekanntlich Mittel und Wege, ihren Bedürfnissen Nachdruck zu verleihen, die zumindest für Menschen mitunter befremdlich sind: Miauen zu unchristlichen Uhrzeiten, kratzen an Möbeln und Wänden, „Protestpinkeln“ – und was das kätzische Ausdrucks-Repertoire halt so hergibt. Denken Sie auch so? Dann sollten Sie diesen Text bitte aufmerksam zu Ende lesen.

Die Seele einer Katze ist ein zartes Mobile mit zahlreichen Nebensträngen und filigranen Verästelungen: Wenn man aus Versehen irgendwo an eine heikle Stelle tippt, macht es womöglich schon bald an ganz anderer Stelle «plopp» – und schon hat einem die Katze in die Küche gekackt. Das Gute daran: Diese feinstofflichen Mechanismen funktionieren auch umgekehrt in die positive Richtung. Und: Es ist immer unser Fehler. Nie der der Katze.

Eine Katze mit klassischen Methoden wie «Nein!», «Pfui!» oder «Aus!» erziehen zu wollen, ist etwa so nachhaltig wie Seifenblasen züchten. Wenn eine Katze sich unerwünscht verhält, indem sie zum Beispiel regelmässig auf die Kommode springt und die liebevoll arrangierten Porzellanfigürchen zu Boden fegt, kann man schimpfen und toben und die Figürchen jedesmal zusammenleimen und wieder aufstellen – oder man schmeisst den Nippeskram einfach weg. Irgendwann wird man es sowieso tun. Inzwischen könnte man die Zeit nutzen, sich mit dem Wesen seines Mitbewohners auseinanderzusetzen.

Katzen sind aus irgendeinem Grund nicht geneigt, menschliche Massregelung mit eigenem Fehlverhalten in Verbindung zu bringen. Schimpfende Menschen machen Katzen im besten Fall ratlos. Im schlimmeren Fall entwickelt sie tiefes Misstrauen gegen dieses unberechenbare Wesen, das sie täglich füttert und dann beschimpft – und intensiviert ihr „Fehlverhalten“. Nicht aus Protest, sondern aus Hilflosigkeit. Denn sie hat keinen Plan, wie sie unser Gemüt beruhigen kann – und wird immer verzweifelter, uns ihre Botschaft zu überbringen. Und zack: Wieder auf den Badvorleger gekackt.

Wer einer Katze etwas beibringen oder abgewöhnen möchte, hat wesentlich bessere Erfolgsaussichten, wenn er – das Prinzip kurz zusammengefasst – erwünschtes Verhalten belohnt, unerwünschtes dagegen ignoriert. Eine Methode namens Klickern hilft, diese Taktik gezielt einzusetzen: Man regt die Katze zunächst dazu an, etwas relativ Simples zu tun; zum Beispiel auf ein Stöckchen zu hauen. Tut sie wie erhofft, drückt man auf das Klickergerät, das – daher der Name – «klick» macht, und belohnt das Tier mit etwas Leckerem. Da Katzen ja zwar manchmal blöd tun, es aber keineswegs sind, begreifen sie schnell, und der Schwierigkeitsgrad der Übungen kann kontinuierlich gesteigert werden. Ist man sehr ambitioniert und übt mit einer besonders verfressenen Katze, kann man ihr mit dieser Methode wahrscheinlich sogar beibringen, «alle meine Entchen» pfeifend rückwärts durch einen brennenden Reifen zu springen. Wenn man das möchte.

Bis vor einigen Jahren hatte ich selber keinen Schimmer, was Tierpsychologen den ganzen Tag so tun – aber ich war mir sicher: Bei denen tickts doch nicht richtig. Ich meine: Tierpsychologie – aber hallo?

Heute ist mir diese schlecht informierte Denkweise äusserst peinlich. Denn heute weiss ich vergleichsweise sehr viel mehr über Tierpsychologie bzw. Verhaltenstherapie und meine Meinung hat sich analog zu meinem Wissenszuwachs radikal verändert.

Der Weg zur Erkenntnis ist bekanntlich beschwerlich. So war es auch bei mir. Als ich erstmals mit einer meiner Katzen an einem Punkt war, an dem ich keinen anderen Weg mehr sah, als einen Katzenflüsterer beizuziehen, machte ich einige – öhm… – spezielle Bekanntschaften mit Tierpsychologen, die meine Vorurteile nur bestätigten: alles Spinner. Doch wo Verzweiflung, da ein Wille: Ich suchte weiter. Und die vielleicht grösste Leistung meinerseits: Ich öffnete mich für ein Thema, das ich fast 40 Jahre lang vollkommen grundlos für Humbug gehalten hatte.

Seriöse Verhaltenstherapie ist kein Hokuspokus, wo in Abstimmung mit dem Mondzyklus im Kerzenschein nackt um Regenbogen getanzt wird. Sondern eine sehr praxis- und situationsbezogene Herangehensweise Menschen- und Katzenverhalten in schwierigen Situationen aufeinander abzustimmen – oft sind wir Menschen in einer Problemsituation betriebsblind und sehen gar nicht, warum ein Tier um Hilfe ruft. Manchmal helfen schon kleinste Änderungen im Alltag: Manchmal werden Katzenklos, Kratzbäume oder Schlafplätze neu platziert, manchmal das Verhalten der Tierhalter überdacht. Es ist meist gar nicht so schwer – wenn man mal bereit ist, sich in das Tier hineinzuversetzen, das nicht aus seiner Natur heraus kann – und von uns Haltern in seinem gesamten Lebensumfeld fremdbestimmt wird.

Heute bin ich der Meinung, dass jeder Tierhalter Grundkenntnisse über Verhaltenstherapie haben sollte. Wirklich JEDER. Vor allem aber Katzen-, Hunde- und Pferdehalter. Vermeintlich katzentypische Ängste zum Beispiel wie Tierarzt, Türklingel, Feuerwerk sind oft mitnichten katzentypisch: Wir Katzenhalter haben den Katzen diese Ängste allzu oft überhaupt erst anerzogen. Und vielleicht fände es dann endlich mal ein Ende, dass immer noch arme Katzen zu Erziehungszwecken mit Wasserpistolen malträtiert werden.

Ich habe hier derzeit sechs ehemalige, teils schwerst misshandelte Strassenkatzen, die trotz ihrer Ängste, ihres Misstrauens gegenüber Menschen und all ihren teils wirklich schrecklichen Erfahrungen, friedlich und glücklich zusammenleben, die Wohnung intakt lassen und mich am Wochenende ausschlafen lassen. Mit meinen Kenntnissen über Tierpsychologie wuchs das Wohlbefinden meiner Tiere exponentiell. Meine Katzen haben heute jedenfalls keine Angst mehr vor Besuchern, Staubsaugern, Feuerwerken oder Tierärzten.

Eine huldvolle Verneigung an die Tierpsychologie.

Quelle: http://kamikatze-zwerglis.com/

Danke an Iwon für diesen Text. Iwon ist Berlinerin und lebt seit der Geburt in Zürich – einer wundervollen Stadt an einem wundervollen See.

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